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Urversion

 

Franz Nahrada

Vortrag auf der "Unsichtbaren Intelligenz" in Graz, November 2008

Kommunikation statt Markt: Gesellschaft am Scheideweg

Zwischen Medienfeudalismus und kooperativem Neubeginn

Wir haben heute schon viel über den Markt gehört und auch schon einiges über Medien, über die Möglichkeiten des digitalen Mediums als schnelles und weit verbreitetes System der Wahrnehmung, der Mitteilung und der Erinnerung. Mein Vorhaben hier und jetzt ist diese beiden Bereiche einander gegenüberzustellen, also die Frage zu stellen inwiefern der Markt als Form der Vergesellschaftung und die modernen Medien überhaupt zueinander passen.

Die Frage scheint allem Anschein nach eindeutig beantwortet zu sein, der Siegeszug der globalen Marktwirtschaft und der Siegeszug der neuen Medien ist ja fast synchron abgelaufen, das elektronische Medium ist der bei weitestem wichtigste Marktplatz aller Zeiten geworden; Geld existiert zunehmend primär als elektronischer Impuls, Käufe und Verkäufe werden über Computerbildschirme und Terminals abgewickelt. Medienkonzerne dominieren mit ihren Produkten die Aufmerksamkeit der Menschen, das Internet wird fast synonym gesetzt mit seiner kommerziellen Domäne, und so weiter. Beide Bereiche sind nicht nur synchron miteinander abgelaufen, sondern der Aufbau und die Weiterentwicklung der Infrastrukturen, die technische Weitentwicklung der Hardware und bis zu einem gewissen Grad auch die Gestaltung der Software und der Inhalte geschieht im Bereich privater Unternehmungen, die ihre Macht zur Gänze aus dem Gewinninteresse großzügig zur Verfügung stehenden kommerziellen Kredites beziehen oder zumindest bis gerade eben noch bezogen haben. In einem nie gekannten Ausmaß und in einem nie gekannten Geschwindigkeit haben sich diese Unternehmen sich eine um die andere Geschäftssphäre erschlossen, die auch mit der Verbreitung von Information zu tun haben. Aus dem Staatsfernsehen wurde privates Fernsehen, aus den staatlichen Telefongesellschaften wurden private Konkurrenten, und als die Verfügbarkeit der digitalen Kopie auch das Kulturerbe der Museen und Archive zum Geschäftsgegenstand werden ließ, waren sofort die geschäftlichen Nutznießer von Lizenzen und Eigentumsrechten an den Originalen zur Stelle, um einen lukrativen Markt aufzubauen. Gleichzeitig wurde – über die eigentliche Kommunikationssphäre hinaus - die gesamte Produktionswelt durch die mikroelektronische Revolution und die Automation in einem nie gekannten Ausmaß revolutioniert, es entstand durch die Netze der Logistik und der Datenkommunikation eine globale Gesamtfabrik in Form von „Global Players“, die hochflexibel und mit enormem technischen Einsatz auch im exotischsten Drittweltland eine funktionierende Fabrik hinstellen und auch wieder abräumen können, sowie eine ebenso globale Konsum- und Distributionswelt in der ohne ständige Koordination von Point of Sales und einem riesigen Verkehrs- und Transportapparat nichts mehr geht.

Muss ich also jetzt meinen Vortrag hier schon wieder beenden? Ist die Amalgamierung von Marktwirtschaft und elektronischen Medien wirklich so total und endgültig wie es scheint? Oder sieht die Sache auf einen zweiten, genaueren Blick vielleicht völlig anders aus?

Vielleicht hilft uns eine historische Analogie weiter, die Analogie mit der Eisenbahn. Auch diese wurde zunächst von großen Aktiengesellschaften und privaten Investoren geplant und realisiert. Diese hatten anfangs sogar verschiedene Spurweiten, und verbanden eher Ballungszentren und lukrative Ausflugsziele. Ab einem bestimmten Punkt war ihre strategische Bedeutung so groß und das Bedürfnis nach Verflechtung mit Entwicklungszielen so stark, dass sie verstaatlicht wurden. Natürlich spielten auch dabei militärische Interessen eine gewichtige Rolle. Die preußische Kanonenbahn und die Aufmarschpläne waren sicherlich mitbestimmend. Aber ebenso wichtig war die Einsicht, dass die Anbindung an dieses Netz über Wohl und Wehe von Städten und Landstrichen entschieden. Fuhrwerkerstädte wurden rasch bedeutungslos und der nächste Bahnhof zog Investitionen und Reichtum an, revolutionierte die Landwirtschaft und ermöglichte große Industrien. Dies alles und noch viel mehr begründete die direkte staatliche Organisation dieser Ressource an der viele partizipieren. Für viele Jahrzehnte war die Bahn als öffentliches Gut eine Selbstverständlichkeit.

Ein momentaner Status quo sagt also nichts aus über die langfristige Entwicklung und das Zueinanderpassen von Medium und gesellschaftlicher Organisationsweise und auch der anscheinend überwältigende Trend zur Marktwirtschaft muss nicht das letzte Wort der Geschichte bleiben. Paradoxerweise haben die modernen Medien in einer völlig anderen Konstellation das Licht der Welt erblickt als wir sie heute kennen. Sowohl das digitale Medium als auch das Internet sind ein Kind des Krieges. Das Digitale Medium entwickelte sich aus dem Bedürfnis, die Nachrichtenübermittlung an die Flugabwehr direkter an die Reaktion zu koppeln; deswegen wurden Daten und Flugbahnberechnungen in das binäre Zahlensystem kodiert, um den menschlichen durch einen maschinellen κψβερνετεσ, Steuermann, zu ersetzen. Der Erfolg war nicht nur eine überlegene Militärtechnik, sondern die Perspektive einer neuen, dritten industriellen Revolution. Norbert Wiener bemerkte ein paar Jahre später:

“Die automatische Fabrik und das Fließband ohne menschliche Bedienung sind nur so weit von uns entfernt, wie unser Wille fehlt, ein ebenso großes Maß von Anstrengung in ihre Konstruktion zu setzen wie z. B. in die Entwicklung der Radartechnik im Zweiten Weltkrieg...Ich kann vielleicht den Hintergrund der gegenwärtigen Situation erläutern, wenn ich sage, dass die Erste industrielle Revolution, die Revolution der “finsteren satanischen Fabriken”, die Entwertung des menschlichen Armes durch die Konkurrenz der Maschine war......Die moderne industrielle Revolution ist in ähnlicher Weise dazu bestimmt, das menschliche Gehirn zu entwerten, wenigstens in seinen einfacheren und mehr routinemäßigen Entscheidungen ... Wenn man sich die ... Revolution abgeschlossen denkt, hat das durchschnittliche menschliche Wesen mit mittelmäßigen oder noch geringeren Kenntnissen nichts zu verkaufen, was für irgend jemanden das Geld wert wäre”.

Wiener sah schon damals ganz klar voraus, dass nur eine vollkommene Veränderung des Wirtschaftssystems bis hin zur Abschaffung des Geldsystems die adäquate Reaktion auf diese Entwicklung sein konnte. Wir mussten aber offensichtlich einiges durchmachen und machen es noch immer durch, bevor wir wieder auf seinen Erkenntnisstand kommen. Der stark von Wiener beeinflusste Max Bense erweiterte Wieners Prognose schon 1951 zu einer Veränderung nicht nur der Produktion, sondern der gesamten Lebenswelt "Die kybernetische Erweiterung der neuzeitlichen Technik bedeutet also ihre Erweiterung unter die Haut der Welt; Technik kann in keiner Weise mehr isoliert (objektiviert) betrachtet werden vom Weltprozess und seinen soziologischen, ideologischen und vitalen Phasen." (Max Bense, Kybernetik oder die Metatechnik einer Maschine, Merkur 1951).

Ich habe gesagt auch das Internet wäre ein Kind des Krieges gewesen, in diesem Falle des amerikanischen Verteidigungsministeriums und seines Projektes ARPANET Mitte der sechziger Jahre. Die Geschichte ist weithin bekannt: Das Militär wollte eine Form der Kommunikation schaffen, die auch im Fall eines Atomschlages nicht vollständig zerstört werden konnte. Die Lösung bestand in der Zerteilung von Information in Pakete, die sich selbst den günstigsten Weg durch das Netzwerk suchen und sich selbst am Endpunkt wieder zusammensetzen. Aus dem militärischen Netzwerk wurde in mehreren Entwicklungsschritten eine allgemeine gesellschaftliche Infrastruktur. Diese war da, bevor sich die Marktwirtschaft ihrer annahm und ihre Verbreitung explosionsartig beschleunigte, allerdings um den Preis von Einschränkungen, die anfangs nicht gegeben waren. Wir werden uns diese Einschränkungen später genauer anschauen, zunächst einmal möchte ich vier zentrale Qualitäten des digitalen Mediums genauer hervorheben, die jede für sich genommen eine ungeheure Innovation darstellen, aber die erst in ihrer Gesamtheit ein Bild ergeben, das uns zu verstehen erlaubt, warum der marktwirtschaftliche Gebrauch der neuen Medien ungefähr ebenso rationell und natürlich ist wie der Einbau von Terminatorgenen in Pflanzen.

Die produktiven Medien

Generativität: Multimedialität und Automation

Um am Vortrag von Barbara anzuknüpfen, schon die Möglichkeiten des digitalen Mediums Ausdruck in Collagen verschiedener Medienfragmente zu zerlegen, schafft eine neue Bandbreite der Expressivität und Interpretation. Die Drucktechnik brachte uns die Abbildung und die Illustration, doch der Ausdruck in Sprache, Text, Diagramm, Graphik, Bild, Firm, Formel, Simulation schafft eine neue Qualität des Wissens. Mit Hilfe digitaler Technik und ihrer Realisationsmöglichkeiten spricht das neue Medium zu allen Sinnen; schon gibt es ein Internet der Gerüche und der Berührungen. Die Einseitigkeiten und Beschränkungen der jeweils einzelnen medialen Ausdrucksweisen befreien sich in der wechselseitigen Interpretation und Ergänzung. Das digitale Medium verhält sich zu jedem Einzelmedium wie ein Orchester zu einem einzelnen Instrument.

Im digitalen Medium haben wir offensichtlich eine Trennung zwischen Code und Execution, zwischen Modell und Realisation, die sich nicht nur auf Kommunikationsformen, sondern auf sämtliche Bereiche der materiellen Welt bezieht. Es schafft die Möglichkeit der ständigen Wiederherstellung und Reaktualisierung von Gegenständen, die Automation. Das Urbild existiert wie die platonische Idee in den Speichern der Steuermaschine, die Zusammensetzung des Stoffes hängt rein an der Flexibilität der Werkzeugmaschine. Es ist nur ein gradueller Unterschied ein Bild auf einem Bildschirm zu erzeugen, ein Blatt Papier in einem Drucker zu bedrucken oder eine dreidimensionale Statue mit einem Fabrikator zu fräsen oder additiv zu verkleben.

Obwohl es eine große und wahrscheinlich auf lange Zeit unerschöpfliche Arbeit darstellt, die digitalen Herstellungsanweisungen der Gegenstände selbst herzustellen, lohnt sich diese Arbeit ganz prinzipiell. Produktiv im digitalen Zeitalter ist nicht mehr eine Arbeit die (viele) Gegenstände herstellt, sondern die möglichst große Nutzungsspielräume schafft. Dabei verschiebt sich das Verhältnis von Aufwand und Ertrag gewaltig im Sinn eines Übergangs von der aufwandsabhängigen Knappheit zu einem aufwandsunabhängigem Überfluss: lebendige menschliche Arbeit einzubringen in einen Prozeß gemeinsamer Gestaltung der Güter, bevor sie (unter Beteiligung von immer weniger menschlicher Arbeit) erzeugt werden, ist nahezu unbegrenzt sinnvoll, und hat nahezu immer den Effekt eines Zugewinns an Spielräumen, im Vergleich zum Fortbestehen weniger feiner Abstimmung der Qualitäten im System der Arbeiten und Bedürfnisse, die immer wieder Lebenszeit stiehlt. Wir werden sehen dass genau diese Elementarforderung der Arbeitskultur mit der Organisation als Markt nicht zusammenpasst.

Der Komponist Karlheinz Essl hat gezeigt, welche Kraft dem digitalen Urbild innewohnt. Es ist ja nicht unbedingt bloß das Urbild im Sinn einer Abbildung eines bestimmten Gegenstandes oder der Zusammensetzung eines bestimmten Geruches, das durch solche Modellbildung erzeugt wird, sondern wesentlich mehr. Es kann ein sich selbst ständig änderndes Bild sein. In Essls Lexikon Sonate wird durch einen komplexen Algorithmus ein Strom von Midi – Kommandos geschaffen, die musikalisch Sinn ergeben, sich anhören wie von Menschen gemacht und interpretiert, sich wohl kaum jemals wiederholen und bis ans Ende aller Zeiten neue und originäre Musik generieren könnten.

Während noch Benjamin in seinem Aufsatz „das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von einer Aura des Originals sprach, die durch die technische Reproduzierbarkeit immens zunehme, überwindet das digitale Werk die Dichotomie von Original und Kopie. Alles wird Original, dies ist die geniale Botschaft die Andy Warhol prophetisch und praktisch dagegen gesetzt hat, auch wenn ihn der Kunstmarkt bewusst misszuverstehen versuchte. Die neuen Technologien der digitalen Reproduktion führen zu Massenoriginalität, weil die Bauanleitung ständig geändert und verbessert werden kann. Diese vielfältige Qualität der Generativität bedeutet zugleich, dass das Urbild nicht konsumiert wird durch den produktiven Prozess. Es bleibt ständig als Information bestehen und erhalten und ist ewig neu, kann verbessert und modifiziert werden, und mit neuen verbesserten Systemen der Ausgabe und Realisation gekoppelt werden. Sehr ikonisch dazupassend sind hier die Überlegungen von Medienlaboratorien zu zitieren, ein digitales Urbild von Marilyn Monroe zu schaffen und damit eine unbeschränkte Anzahl von Hollywoodfilmen zu generieren.

Ubiquität

Die Sache wird aber noch toller. Nicht nur dass es immer wieder als Herstellungsschablone eingesetzt und der Realisierung zugeführt werden kann, das Urbild selbst kann als digitale Information beliebig kopiert und geteilt werden. Auch darin bleibt es bestehen und erhalten. Was an einem Ort der Welt erfunden und konzipiert wird, steht sofort in vielfacher Form der Bearbeitung und Verbesserung an anderen Orten zur Verfügung. Das bekannteste Beispiel der dramatischen Auswirkungen dieser neuen Modalität ist die freie Software, die diese Qualität des geteilten Urbildes dazu benutzt, eine ständig intelligenter werdende Information zu konstruieren, in diesem Fall ein Betriebssystem für Computer mit mehreren Millionen Zeilen Code. Nicht nur allgemeine Verfügbarkeit, sondern auch die allgemeine Verbesserbarkeit ist der Witz an Open Source und begründet die langfristige technische Überlegenheit von Produkten, die von einer Community generiert werden. Mittlerweile hat sich dieses Prinzip vervielfacht und auch schon in den Bereich von Bauanleitungen für Hardware übergegriffen.

Während so auf der einen Seite an die Stelle der riesigen planetaren Arbeitsmaschine ein riesiges planetares Gehirn tritt, wird der Prozess der Produktion – aufgepasst, wir sehen hier wie sich der Begriff der Arbeit aus der puren Herstellung herauszuverlagern anschickt - wird also diese Herstellung lokalisiert. Wir spüren hier auch schon, warum es der Marktwirtschaft so leicht fällt zu globalisieren, warum sie aber am Kern der Sache vorbeigeht. Aber bleiben wir noch bei den Kernstrukturen der digitalen Produktionsweise und beobachten wir das nächste Paradoxon oder Wunder.

Kontextualität

Wenn Information so gestaltet ist, dass sie durch Maschinenbefehle immer kleinerer und feinkörnigerer Natur Realisationen eines immanenten Programmes hervorbringt, dann ist klar, dass diese Information umso „besser“ sprich „intelligenter“ wird, je mehr sie mit anderen Informationen sinnvoll verbunden wird. Ein mobiles Telephon, das mit einem Satellitenortungsgerät kombiniert ist und das zugleich das mit online Datenbanken kommuniziert, ist in der Lage mir auf die Frage nach dem nächsten Restaurant sofort eine Adresse und Telefonnummer vorzuschlagen und vielleicht sogar das Tagesmenü mitzuteilen. Ein Besucher einer historischen Ausgrabungsstätte, zum Beispiel des römischen Kolosseums, kann über eine Computeranimation eine Vorstellung von der Atmosphäre eines Gladiatorenkampfes erhalten – er kann aber auch über eine Referenzierung zu den vielen dutzend Kolosseen in Europa eine Ahnung von der globalisierten Unterhaltungsindustrie der Antike gewinnen. Die Beispiele sind Legion.

Je mehr sich Informationen untereinander verbinden lassen, desto mehr steigt ihr „Wert“ im Sinn von Aussagekraft, praktischem Nutzen, Bedeutung für den jeweiligen Betrachter.

Hyperlokalität

Die zuvor erwähnte Ubiquität der Information hat eine nicht zu unterschätzende Folgewirkung, nämlich die der potentiellen Reintegration von produktiven Medien in Lebensprozesse. Dies hat Marshall McLuhan dazu bewogen, von einem scharfen Gegensatz von Industrie und Automation zu sprechen, in dem Sinn, dass Industrie eine Umstrukturierung der Gesellschaft nach dem Muster einer großen Maschine erfordert, um Cornflakes oder Cadillacs zu erzeugen –mit großen Städten, Fabriken, Wohnsilos, Verkehrsinfarkten und dem ganzen Rest - , die Automation hingegen das genaue Gegenteil bedeute: Intelligente produktive Information tendiere dazu, sich zu dezentralisieren und in den gesellschaftlichen Lebensprozess zurückzukehren, an den Ort, wo der tatsächliche Bedarf an einem produktiven Akt besteht oder wo die Stoffkreisläufe durch einen solchen Akt geschlossen und optimiert werden können. Dies bedeutet, wenn sonst schon nichts anderes, eine immense Ersparnis an Aufwand, Kraft, Zeit, Energie. Die verschiedensten Prozesse können lokal reintegriert werden. Sie werden unmittelbarer Bestandteil einer lokalen Realität, weswegen sich der Terminus Hyperlokalität entwickelt hat. Hyperlokalität ist heute schon Bestandteil etwa der industrialisierten Landwirtschaft, wenn die Fahrrouten von Traktoren oder die Saatgutmengen nach Berechnungen aus Satellitenbildern festgelegt werden. Hyperlokalität könnte aber sehr viel mehr sein, eine elektronische Implementation in einem Biotop zur Regelung der Wasserzufuhr oder die Kombination von Glashäusern und Gebäudesteuerungen zur Optimierung des Raumklimas. Hyperlokalität erweitert und verdichtet die Möglichkeiten des Raumes, globale Verbindungen stärken paradoxerweise Autarkien und lokale Kreisläufe. Sie entheben uns der Nötigung ständig verschiedene Räume aufzusuchen, weil wir den Raum verdichten und gleichzeitig in seinen Möglichkeiten immens erweitern können.

Wenn wir diese vier Modalitäten der digitalen Medien Revue passieren lassen, dann lassen sie sich in einem Wort zusammenfassen: Überfluss. Die generative Kraft der Automation, die Teilhabe der ganzen Welt an jeder Innovation, die Bereicherung durch die Verfeinerung der in den Prozessen verbundenen Information und zuletzt die Wiedervereinigung von Technik und Naturprozessen zu regenerativen Systemen– sie enthalten ein immenses Reichtumspotential. Vorwegnehmend möchte ich bemerken, und das gibt uns schon einen ersten Hinweis für die Beantwortung unserer Frage ob die digitalen Medien und der Markt zusammenpassen: dieses Reichtumspotential ist nicht Gegenstand der Ökonomie als Wissenschaft. Die zentrale Kategorie der Ökonomie ist die der Knappheit. Eine qualitative Ökonomik, die uns tatsächlich umfassend darüber Auskunft erteilen könnte, wie wir den Bestand an menschlichen Handlungsmöglichkeiten insgesamt vermehren können – die gibt es gerade nicht. Obwohl der Wortbedeutung nach Ökonomie eine „Wissenschaft des ganzen Hauses“ sein soll – und damit systematische Lehre von der Entfaltung und Erhaltung von Reichtum – tritt uns eine abstrahierende Lehre von einer ewigen Knappheit entgegen etwas, was Aristoteles die Wissenschaft der Krämer genannt hat. Güter sind für die Ökonomie gegeben, sie aggregiert sie, korreliert sie, vermisst ihre Ströme – doch was gute Güter sind interessiert sie nicht.

Die Transformation des Marktes

Es geht also jetzt darum die Frage zu stellen, inwiefern Marktprinzipien und die aufgeführten Charakteristika der digitalen Medien zusammengehen oder doch fundamental divergieren. Es ist leider nicht überflüssig, begrifflich zu bestimmen was ein Markt ist. Der Markt ist ja nicht eine Zusammenkunft von Menschen, die sich verabreden zu irgendetwas. Schon wenn wir Märkte ganz generell als soziale Gebilde verstehen, die die Produkte von voneinander unabhängigen Privatproduzenten in einen Austausch bringen, was über die Gleichsetzung dieser Produkte als Geldwerte funktioniert, sehen wir dass die Existenzbedingung von Märkten die Nichtkommunikation, die Nichtverabredung ist. Wäre die Proportion der Verteilung von Arbeit vorher durch Absprache geregelt worden, wäre ein separater Austauschprozess überflüssig. Umgekehrt ist das Interesse jedes Markteilnehmers, in seinen Produkten Geldwert zu vergegenständlichen, um durch diesen seinen Anteil an der gesellschaftlichen Arbeit wiederum als Käufer Zugang zu Produkten anderer Marktteilnehmer zu haben. Der Markt, sobald er die Sphäre der Produktion voll bestimmt - das heißt die Menschen produzieren nicht für den Eigenbedarf, sondern eben für den Markt – besitzt aber eine Dynamik, die diesem Interesse diametral entgegensteht. Diese Dynamik besteht darin, dass einzelne Produzenten oder Marktteilnehmer schon alleine durch das Einführen neuer Verfahren der Produktion, durch die Erhöhung der Produktivkraft der Arbeit, die Arbeit der anderen Marktteilnehmer entwerten. Der Wert ist offensichtlich nicht identisch mit wie viel man gearbeitet hat und was einem daher zusteht, sondern ist eine ständig umkämpfte Größe. Aus dieser Dynamik erwächst die Notwendigkeit, die Basis der Produktion nicht in der eigenen durch Naturausstattung und Bildung gegebenen Arbeitsfähigkeit zu verankern, sondern in einem möglichst großen Kapitalvorschuss, der es erlaubt, über eine steigende Produktenmasse und in der Senkung des Aufwands je Produkt am Markt den anderen Marktteilnehmern Wert abzujagen. Damit sind auch der Kredit und das Bedürfnis nach ihm gesetzt. Es gibt keinen Gegensatz von „raffenden“ und „schaffenden“ Kapital, denn jeder Produzent muss schaffen um zu raffen. Er kann dies nämlich viel besser wenn er seine Produktion als Anlagesphäre für Kapital anbietet, um dann mit verbesserter Ausstattung seinen Konkurrenten Paroli bieten und den Entwertungsprozess durch Überproduktion zu seinen Gunsten benutzen kann. Umgekehrt heisst das aber auch, dass er sich in ein Zwangsverhältnis begibt, das der Schuld, dass er also mit nötigungsfähigen Sicherheiten, wie es so schön heisst, dafür geradezustehen hat, dass diese Kredit zu bedienen ist. So ist auch ganz ohne die derzeit so beliebte Gier herbeizitieren zu müssen, alleine durch die drohende Strafe des Unterganges der Schuldner, der Zwang zu möglichst hoher Profitabilität und zu einem ständigen, grundlosen Wirtschaftswachstum gesetzt. Der Markt entwickelt sich spontan zum Kapitalismus, zum Anti-Markt, in dem Ballungen von industrieller und finanzieller Macht die entscheidenden Größen sind: was dann auch von politischer Seite als Erfolgsbedingung der Nationen erwünscht und gefördert wird und von Liebhabern der Gerechtigkeit so bitter beklagt wird.

Die Informatisierung und Automatisierung der Produktion ist vom Marktgesichtspunkt her und für diesen den Marktteilnehmern vorgeschriebenen Zweck das ultimate Mittel, den Output der Produktion zu steigern und zu beschleunigen. Die dritte industrielle Revolution durch die Mikroelektronik hat eine ungeheure Steigerung des Produktenausstoßes gebracht, angesichts dessen die Rede von der Knappheit wie ein Witz erscheint. Und doch hat genau diese Entwicklung dazu geführt, dass die Eintrittschwelle, um überhaupt noch rentabel und profitabel produzieren und auf dem Markt auftreten zu können, enorm gestiegen ist.

Während wir also bei den vier „Gesetzen der digitalen Medien“ die Ubiquität hatten, das allgemeine Potential der Teilhabe und des Zugangs zum Reichtum des in den Codes gespeicherten Potentials an Können und Output, so tritt uns im marktwirtschaftlich verzerrten Gebrauch der Informations- und Kommunikationstechnologien das genaue Gegenteil entgegen: schon ein allererster, oberflächlicher Blick auf die Raumstrukturen marktwirtschaftlicher Provenienz bestätigt dies. Während der Prozess der Produktion tatsächlich entkoppelt wird von der Bindung an traditionelle Standorte, führt diese Entkoppelung nicht zu einer gleichmässigeren Verteilung von Reichtum und Handlungsfähigkeit, sondern zu einer in absurde Dimensionen hinauf- und hinabreichenden Spaltung. Der immens gestiegene Reichtum akkumuliert sich für alle sichtbar in Zentren der Macht. Eine keineswegs horizontal, sondern in gigantisch hypertrophen betriebswirtschaftlichen Einheiten hierarchisch strukturierte Weltwirtschaft hat sich ein System von so genannten Global Cities geschaffen, die aufgrund einer selbst verstärkenden Dynamik die Führungsfunktionen dort zusammenballt, wo sich Geschäfte wirkungsvoll anbahnen, planen, absichern und entwickeln lassen. (diese Argumentation und die folgenden Formulierungen sind großteils von Rainer Fischbach übernommen) Eine Kaskade der Agglomeration setzt sich in Gang, deren Hauptgrund paradoxerweise nichts anderes als die schon bestehende Agglomeration ist. Es ist ja nicht einfach nur so dass sich der Weg zum Geschäftspartner verkürzen muss, auch die unternehmensorientierten Dienstleistungen vorwiegend beratenden und unterstützenden Charakters (für Finanzierung, Buchhaltung, Steuerberatung, Recht, Marketing, Forschung und Entwicklung, Bildung, Datenverarbeitung und Kommunikation und so fort) und die durch die Trennung von Produktions- und Verwaltungsstandorten notwendig gewordene gigantisch aufgeblähte Verkehrsinfrastruktur, Flughäfen, Autobahnen und so weiter und last but not least die materiellen und kulturellen Lebensbedingungen (Theater, Restaurants, Hotels, Geschäfte und Museen, etc.) die solche orte erst für die dort tätigen Eliten attraktiv machen – all dies gehört dazu. Es ist tatsächlich so, dass diese Zusammenballung der Menschheit auf weniger als 2 Prozent der Landfläche dieses Planeten und das Wegsaugen von immer mehr Menschen von den restlichen 98 Prozent, dass dieses verharmlosend Urbanisierung genannte Phänomen tatsächlich nicht nur Luxus und schier grotesken Reichtum, sondern auch massenhaft Knappheit und Elend im Überfluss erzeugt. Knappheit in den Städten, wo sich die Menschen buchstäblich die Luft zum Atmen wegnehmen, und Knappheit auf dem flachen Land, wo die zunehmende Abwanderung eine Kaskade der Unterentwicklung in Gang setzt.

Doch halten wir uns damit nicht auf, darüber könnten wir ein eigenes Symposium machen. Es ist vielleicht nur bemerkenswert dass dieser Prozess natürlich auch Auswirkungen auf das System der Kommunikation selbst hat. Selbst der Europäischen Kommission ist es aufgefallen, dass von einer gleichmäßigen Versorgung mit universellen Diensten nicht mehr die Rede sein kann. Ich durfte sogar ein Einleitungsreferat auf einer europäischen Breitbandkonferenz halten – also kurz mal sichtbar werden – auf festgestellt wurde, dass der Markt bei der Versorgung ländlicher Gebiete mit Breitband total „versagt“ habe. Dort, wo sich durch Benutzung die Betriebskosten rasch amortisieren, in den Städten, liegen bildlich gesprochen 20 Glasfaserleitungen unter dem Trottoir, während sie dort, wo sie am dringlichsten benötigt werden – und diese aussage ist nicht von mir - , in den ländlichen Räumen, einfach fehlen. Sogar das, was es einmal gegeben hat, ein einheitlicher und generell verfügbarer Telefondienst, wird schrittweise stillgelegt.

Und doch sind diese Disparitäten und Polarisierungen nur die oberflächlichste und harmloseste Ebene der Verzerrung der dargestellten technologischen Potentiale durch eben die Marktwirtschaft, die sie zwar nicht erfunden, aber doch rasch weiterentwickelt und auf den Markt geschmissen hat. Man könnte sagen, wenn der Größe und der Wirtschaftsmacht der globalen Städte und der globalen Werkbänke auch nur annähernd ein positiver Output entspräche, dann wäre das ja noch irgendwie eine Legitimation ihrer Existenz. Dem ist leider nicht so, und es bleibt mir in der Kürze der Zeit nur die Möglichkeit einiger Andeutungen, dass es zu noch viel tiefer liegenden und gefährlicheren Momenten auftritt, die die Potentiale der digitalen Medien systematisch verkrüppeln und zerstören. Ich lasse auch jetzt ganz bewusst die Zerstörung der Naturgrundlagen durch die marktwirtschaftliche Wachstumsmaschine außer Sicht, obwohl diese natürlich immer mit zu bedenken ist.

Wenn wir systematisch weiterdenken, dann führt das ständige Geheimhalten von Information vor den Konkurrenten zu einer gewaltigen Verschwendungssituation. Hunderttausende, ja Millionen von Menschen müssen Überstunden machen und sich in diesem geistigen und psychischen Druck ruinieren, um das nach zu erfinden, was die Konkurrenz möglicherweise schon hat und von dem man nie sicher weiß ob es überhaupt gebraucht werden wird. Tausende Produkte zirkulieren, die sich nur durch den Markennamen unterscheiden, obwohl sie dieselben Komponenten eingebaut haben und unter der Oberfläche ziemlich ident sind. Die Produktgestalter sind redlich bemüht, jedes Produkt zu einem trojanischen Pferd zu machen, das die Nachfrage nach einer Fülle von Zubehör, add-ons, Support und so weiter generiert. Wir treffen auf das weit verbreitete Syndrom, dass nichts mehr zusammenpasst, dass selbstverständlich das Ladegerät meines Nokia – Handys für mein Siemens Mobile nichts taugt. Produktinnovationen dienen beständig dazu, die bereits verkauften Produkte moralisch und technisch zu entwerten und die Benutzer zu Neuanschaffungen zu nötigen. Kompetenzen zu Reparatur und Eigenarbeit sind gezielt zu entwerten, dafür gibt es unser Service und unsere Hotline, wir übernehmen keine Garantie und so weiter.

Es ist nur folgerichtig, dass sich diese Wirtschaft zu einem weiteren Übergang gezwungen sieht, der daraus resultiert, dass bald jeder diese Tricks drauf hat. Wenn Du Deine Konkurrenten nicht mehr besiegen kannst, dann greife sie direkt an, indem Du ihnen nicht nur das unbekannte Wissen vorenthältst, sondern auch das bekannte Wissen unter einen Vorbehalt stellst. Wenn die ganze Welt über die mikroelektronisch automatisierten Möglichkeiten verfügt, Kopien einer Sache en Masse in die Welt zu setzen, dann ist damit nämlich auch kein wirkliches Geschäft zu machen. Der ganze unmittelbare Produktionsprozess, einst das Herzstück der kapitalistischen Produktionsweise, wird weitgehend ougesourced an Zulieferer, die Schlange stehen wie weiland die Proletarier. Näheres dazu morgen bei Karl Reitter. Das Kapital trennt sich von der Arbeit, eine lange bestehende historische Ehe wird schön langsam geschieden. Kapital will sich vermehren, es sortiert die Welt nach Vermehrungsgelegenheiten. Die Zulieferklitschen verdienen diese Investitionen nur mehr bedingt. Was einen wirklichen Wert darstellt, ist der intellektuelle und kulturelle Gehalt ihrer Arbeit. Die Informationstechnologie hat diesen Gehalt der Arbeit rein geschieden und vergegenständlicht – also den Code, der die Maschinen treibt, der Entwurf, das Urbild. Dieses Herzstück der Arbeit selbst wird zum primären Objekt der Begierde des Kapitals. Unter der Hand verwandelt sich Kapital von der Organisation der Produktion zu einem neofeudalen Unternehmen, das Recht- und Machttitel an wichtigen Handlungsmöglichkeiten strategisch besetzt – Patente, Muster, Lizenzen. Wirtschaft wird zur Börse, an der lukrative Handlungsverbote gehandelt werden. Die Analogie zum gräflichen Zollschrankenwesen, das die Souveränität über ein Stück Land dazu benutzte, den Passanten eine Rente für das benutzen dieser Räume abzuknöpfen, liegt auf der Hand. Heute sind wir im Begriff, nach dem Kapitalismus in ein neofeudales Zeitalter einzutreten, in dem eine Klasse von Informationsrentiers vom negativen Mehrwert einer Gesellschaft lebt, die halt zufällig noch Reichtum hervorbringt.

Vielleicht aber endet diese Geschichte auch noch ganz anders…

(C) Die Autoren changed: 27. Januar 2020