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Franz Nahrada /
Zukunft im digitalen Dorf

 
Der Zukunftsdenker, Digital-Aktivist und Globalisierungsphilosoph Franz Nahrada geht in unserem nächsten Online-Talk der Frage nach, welche Auswirkungen die neue Globalisierung für ländliche Regionen haben wird und wie wir die digitale Transformation am besten nutzen. Nahrada hat diese Zukunft bereits 1995 mit der Großveranstaltung "Global Village" in Wien vorhergesagt.

Inhaltsverzeichnis dieser Seite
persönlicher Einstieg   
inhaltliches Anknüpfe an Max Thinius   
Die Renaissance des Lokalen   
ein langer Übergang   
Wissen transportieren heißt Wahrnehmung verändern   
dezentralisierter Zugang zu Energie   
Die Wiederentdeckung der Natur: Kreisläufe die sich selbst füttern   
postfossile Chemie statt Petrochemie   
Die Gestalt(ung) einer postindustriellen Welt   
die Piazza Telematica   
die elektronische Flaniermeile   
das Miniaturisierte Transportsystem   
das Themendorf   
die kulturellen Refugien   

persönlicher Einstieg    

Ich bin zu meinen Themen über einen riesigen Umweg gekommen.An der Universität hatte ich eine sehr kritische Haltung zur Wissenschaft, meine Hauptbeschäftigung war der permanente Nachweis, dass sie an der Verbesserung der Welt nicht wirklich interessiert ist, also das war eher eine karrierefeindliche Haltung die ich da einnahm. Dementsprechend habe ich gleich meinem Abschluss in Soziologie im elterlichen Hotelbetrieb gearbeitet, und dort versucht mir den Kopf freizuhalten. Dann geschah zweierlei: wegen gesundheitlicher Probleme wollte und musste ich immer wieder ans Meer fahren, zuerst nach Kroatien und dann nach Griechenland und konnte das auch, und ich hab mich zunehmend reingetigert in die neuaufkommende Computerrevolution, rein autodidaktisch. Das waren die achtiger Jahre und das waren die entscheidenden Prägungen.

Mir gings gesundheitlich immer gleich viel besser wenn ich in mediterranen ländlichen Umgebungen war, in den wunderschönen Bergdörfern von Samos zum Beispiel und ich hab auch mitbekommen wie binnen weniger Jahre diese Dörfer von blühenden Lebensumgebungen zu vereinsamten Ruinen verfallen sind, während die jungen Menschen zuerst für den Tourismus rekrutiert wurden und dann aufs Festland oder nach Mittel- und Nordeuropa abgehauen sind - um sich eben auch ein gutes Leben zu verschaffen. Am Anfang hab ich noch funktionierende Dorfgemeinschaften erlebt, doch immer öfter endeten meine griechischen Exkursionen in der Begegnung mit Stagnation, Verfall und Trostlosigkeit. Und als ich dann die kühle Jahreszeit in Kalifornien zu verbringen begann, ganz nah an den Pionieren der Computerrevolution und mit einem großen Naheverhältnis zur Apple Community, dann musste ich da auch entdecken dass dort auch in der Wissenschaft ein ganz anderes Klima herrschte. Sehr viel stärker engagiert und an praktischen Innovationen interessiert.

Eine Begegnung in Stanford mit dem Computerpionier Douglas Engelbart war das eine ausschlaggebende Erlebnis, das andere war wohl der mehrmalige Aufenthalt auf der wohnlichsten Baustelle der USA, der Stadtbaustelle Arcosanti. Beides kann man zusammenfassen als das bewusste Engagieren der Wissenschaft für einen fundamentalen Wandel. Einmal war es der Wandel hin zum Menschen der mit dem Computer als Denkwerzeug ausgestattet ist, lernt und kommuniziert, und auf der anderen Seite war es der Wandel weg vom Zerfließen der Städte in die grenzenlosen suburbanen Wucherungen hin zu einer neuen intelligenten Dichte. Mich hat beide Male dieser amerikanische Pioniergeist fasziniert. Und beide Male auch diese totale Risikobereitschaft, sich sozusagen für eine Hypothese zu engagieren. Ein Labor einzurichten, sich mit den Menschen auf gleiche Augenhöge zu begeben und zu forschen. ...Während in der mir bekannten Europäischen Wissenschaft die Wissenschaft sich weitgehend aus dem Spiel nahm, um sozusagen wertfrei und von oben zuzuschauen, was die Leut so treiben und sich in dieser weltfremden und wertfreien Perspektive als besonders kompetent vorzukommen.

Der Engelbart hat mich als Soziologen und Philosophen ernst genommen und hat mich aber gleich gefragt, wofür ich mich denn engagieren wollte. Und ich hab geantwortet, dass mich das Potential von Computern und digitaler Kommunikation interessiert, inwieweit es in den kommenden Jahrzehnten unsere Lebensräume umgestalten wird, und ob es nicht eine Chance gibt, dass das so lebensförderliche und gesunde Dorfleben, das ich in Griechenland so intensiv erlebt habe, nicht wieder auferstehen kann. Und wie er mich in dieser Frage ermutigt hat, und noch dazu den Aspekt der sozialen Innovationen für besonders wichtig erklärt hat, da hab ich mich gefühlt als ob mein wahres Studium gerade erst begonnen hätte. Alles andere hat sich dann ziemlich logisch ergeben, ich wollte diese Wissenschaftsauffassung nach Europa bringen, ich traf aufs neuaufkommende Strömungen wie das Zentrum für soziale Innovation in dem ich mich doch einige Jahre zuhause fühlen konnte, ich hielt Vorträge und schließlich war die Konstellation da in denen wir die Global Village Veranstaltungen machen konnten.

inhaltliches Anknüpfe an Max Thinius    

So und ich glaub hier ist der Moment wo ich weggehen kann vom persönlichen Zugang hin zu den allgemeinen Thesen und Annahmen über unsere Zukunft. In den USA gibts ja das Mantra, das auf Abraham Lincoln zurückgeht, der beste Weg die Zukunft vorherzusagen ist sie zu schaffen. Der Silicon Valley Vordenker Alan Kay hat dann draus gemacht: sie zu erfinden. Aber wir erfinden nicht im luftleeren Raum, sondern wir reagieren auf bestimmte Problemlagen und gleichzeitig Chancen.

Ich hab jetzt das große Glück dass ich auf Max Thinius aufbauen kann, den Ihr vor einigen Wochen hier gehabt hat und mit dem ich weitgehend übereinstimme. Also wir befinden uns am Ende gleich mehrerer Zyklen der menschlichen Geschichte, und aller Voraussicht nach am Beginn neuer Zyklen.

Wir befinden uns am Ende der industriellen Gesellschaft, aber wir befinden uns auch am Ende anderer dominanter Formen und Formationen. Wir müssen die bisherige Wachstums- und Wettbewerbsorientierung in Frage stellen, die Dominanz unseres Lebens durch ein homogenes, nationalstaatlich geprägtes Werte- und Glaubenssystem, in dem die Konkurrenz und der zeitweilige Interessensausgleich der Mächte so ein prekäres Ding wie eine Friedensordnung geschaffen hatte, was dann aber auch nur ging durch den permanenten Kampf um ökonomische, militärische und kulturelle Einflussphären. Der Planet ist zusammengewachsen und wir erleben wie er unter dem Gewicht unserer alten expansiven Reflexe am zusammenbrechen ist. Also müssen wir zu allem Überfluss auch noch unser Verhältnis zur Natur ändern.

Das Dilemma ist: das Alte funktioniert nicht mehr wirklich, es wird den komplexen Zusammenhängen und Verflechtungen nicht mehr gerecht, aber das neue existiert noch nicht. Es ist so ein wenig wie vor der französischen Revolution, wo der immens gewachsene Reichtum der Gesellchaften lediglich der Repräsentations- und Vergnügungssucht des Adels diente, wo die Staaten sich im Rauben und Plündern überboten, während ein Jahrhundert lang die Philosophen der Aufklärung an die Menschen appellierten sich doch bitteschön ihres Verstandes zu bedienen.

Heute hat sich das Rauben und Plündern zu einem weltweiten Konkurrenzkampf um das Herstellen der billigsten und gefragtesten Waren entwickelt, und gleichzeitig entkoppelt sich diese globale Gesamtfabrik von der menschlichen Arbeitskraft; damit aber ist für die breite Masse die Lebensperspektive unsicher geworden. Schon vor Corona sind die Einkommen aus Arbeit jahrzehntelang gesunken, während die Einkünfte aus Kapitalvermögen gestiegen sind; jetzt in der Krise haben wir die größte Umverteilung der Geschichte erlebt. Wir erleben auch wie Geld sich immer mehr entkoppelt vom realen Reichtum und zur rein fiktiven, spekulativen Größe wird, von der wir allerdings wissen dass sie jederzeit zusammenbrechen kann.

All das ist nicht zuletzt ein Wirkung der technologischen Fortschritte, ohne die es auch undenkbar gewesen wäre dass in kurzer Zeit China zur Werkstatt der Welt hätte aufsteigen können. Ein technologischer Fortschritt, der das Fieber, an dem diese Welt leidet, beharrlich nach oben zu treiben scheint.

Aber ich soll ja hier nicht über die prekäre Seiten des Alten reden, sondern über die Gestalten des Neuen, das in diesem Fortschritt versteckt ist.Viele reden vom notwendigen Wandel, doch wie sieht er aus? Worin hat er seine materielle Grundlage?

Ich bin als Globalisierungsphilosoph tituliert worden, und möchte eigentlich über das Verhältnis zwischen global und lokal reden. Das Paradox das aufscheint, und von dem her sich vielleicht vieles verstehen lässt, ist dies, dass jede Lokalität, jeder Ort, jede Region, jedes Land die von der Globalisierung berührt wird, dadurch auch mit Möglichkeiten in Kontakt kommt, sich selbst neu zu erfinden, auf ein beständig wachsendes Inventar von Wissen, Erfindungen, Werkzeugen zurückzugreifen die richtig angewandt die eigene Abhängigkeit von außen reduzieren helfen. Und die Möglichkeit zu vergleichsweise geringen Kosten in rasender Geschwindigkeit Unmengen von Information auszutauschen, stärkt langfristig all jene, die diese Informationen sinnvoll benutzen wollen, um sich von den globalen Konjunkturen und Produktketten unabhängiger zu machen. Marshall McLuhan hat dieses Paraxox formuliert indem er von einer eigentümlichen Qualität der neuen globalen Medien und der duch sie hervorgerufenen Renaissance spricht, die nicht mehr in einer explosiven und aggressiven Reaktion kulminiert, sondern im Gegenteil in einer großen "Implosion". Uns so sagt er eine "noch nie dagewesene Renaissance des Lokalen" voraus.

Die Renaissance des Lokalen    

ein langer Übergang    

Diese Renaissance des Lokalen ist kein Prozess der schnell oder naturgesetzmäßig eintrifft. Vor allem haben wir es wie schon erwähnt mit einem Epochenbruch zu tun, in der sich alle Ziele, alle Wertmaßstäbe, alle kulturellen, politischen, wirtschaftlichen Systeme verändern. Wir können nur ahnen wo das Ziel liegt, wir können zuschauen wie zunächst einmal alle vermeintlichen Sicherheiten erodieren. Wir erleben eine Epoche die vollgepackt ist mit Widersprüchen, wo viele in längst vergangene Zeiten zurück wollen, den Nationalstaat gegen die Globalisierung hochhalten, sich in scheinbar sichere Bastionen zurückziehen. Und doch dürfte die Antwort ganz woanders liegen, nämlich in der Kombination von kleinen Einheiten mit weltweiten Netzen. Eine Fülle von gleichzeitig passierenden Veränderungen fördert dies.

Es ist ja nicht einfach die weltweite Wissensvernetzung, sondern vor allem die Möglichkeit, aus diesem Wissen etwas zu machen, es umzusetzen in materielle Realität. Max Thinius hat das letzte Mal die Mikrobrauereien angeführt, die hervorregendes Bier im Nachbarschaftsmaßstab brauen können. Das nennt sich dezentrale Automation, und es gibt mittlerweile hunderte, tausende, zehntausende Beispiele dass das was vorher nur in großen Fabriken möglich war, plötzlich auf einer kleinen Stufenleiter hervorragend funktioniert.

Ein Beispiel:

  • die immer einfacher und billiger werdenden 3D Metalldrucker
  • damit können kooperative Dorfgemeinschaften bereits alle kaputten Motor- und Antriebsteile ihrer Landmaschinen selbst ersetzen !
  • ...ohne lange und kostspielige Lieferzeiten der Grossindustrie, insbesondere die von nicht mehr produzierten Modellen !
  • z.B. dieser in Kleinserie um €4.- produzierten, Wasserpumpen-Impeller .... https://youtu.be/eBQAZz-Q1pE
und natürlich die prompte Auseinandersetzung zum Beispiel über das Recht überhaupt noch etwas reparieren zu dürfen.

https://www.zeit.de/wirtschaft/unternehmen/2021-04/recht-auf-reparatur-right-to-repair-usa-tech-konzerne-apple-tesla-5vor8

https://de.ifixit.com/Right-to-Repair/Einleitung

Es ist ganz klar hier prallen unvereinbare Welten aufeinander, und während die einen ihre Dominanz nur halten können indem sie Selbsthilfe verbieten, haben die anderen jedes Interesse daran sich zu vernetzen, Wissen auszutauschen.

Und es gibt eigentlich auch immer noch diese Industrien, die Alvyn Toffler "Prosumer Industries" genannt hat, die sozusagen von diesem Empowerment bis zu einem gewissen grad gut leben könnten. Bis halt zu dem grad, an dem die Mikrofabriken dazu benutzt werden könnten, Mikrofabriken zu produzieren.

Wissen transportieren heißt Wahrnehmung verändern    

Leitbeispiel Frauen in Senegal in sengender Sonnehitze gehen 20 km Brennholz suchen - sehen nicht dass sie von Energiereichtum umgeben sind.

Also: Kontextualisierter Wissensaustausch wird wichtig. Welche Ressourcen, Bedingungen sind lokal gegeben.

Idee der DorfUni und warum dezentrale und modulare Bildung Zukunft hat.

Ein anderes Beispiel: Wasserretentionslandschaften, warum "Wasser Wasser anzieht" Mikroklimata, Verdunstung, Schwächung ablandiger Winde.

Lößplateau in China, Great Green Wall in Afrika.

dezentralisierter Zugang zu Energie    

Solarenergie, Windenergie, neue Formen kleiner Wasserturbinen .. schafft neue Möglichkeiten der "Ownership" und des Zugeriffs auf Energie

Die Wiederentdeckung der Natur: Kreisläufe die sich selbst füttern    

Aquaponik, living Machines

postfossile Chemie statt Petrochemie    

Naturprozesse sind stofflich nicht nur effizienter als industrielle Prozesse, sondern der Stoffumsatz und die Verwandlung in natürlichen Umgebungen ergibt eine immense Fülle von Werkstoffen für menschlich gesteuerte Produktionsprozesse.

Neue Materialwirtschaft

Kein Abfall, Cradle 2 Cradle.

Die Gestalt(ung) einer postindustriellen Welt    

Die große Implosion bedingt auch, dass unser (auto)mobile Gesellschaft mit ihren Folgeerscheinungen Großstädte, Pendeln und so weiter sich möglicherweise auch in ihrem physisch - räumlichen Erscheinungsbild wandelt.

Rem Kohlhaaas, der selbst noch ein Prophet des Urbanen war, schreibt und sagt und zeigt dass der ländliche Raum der interessanteste Zukunftsraum wird.

https://www.youtube.com/watch?v=eTbH5RWb66o&t=2s

Aber das heißt jetzt nicht unbedingt dass wir alle Bauern werden, sondern dass in einer solchen Situation lokaler Kreisläufe eine große Fülle an neuen Berufen auftaucht.

Was sind nun Gestaltungsmuster?

die Piazza Telematica    

  • Das Lebendigkeitszentrum
  • die Metropolitan Opera am Dorfplatz
  • der Gesundheitscheck im Haus der Heilung
  • Der Maßschuhmacher im netzwerk

die elektronische Flaniermeile    

  • Glasfaser + Straßendorf = halböffentliche Bereiche vor dem Faus

das Miniaturisierte Transportsystem    

Schrumpfen nach den Fabriken auch unsere LKWs ?

das Themendorf    

Werden wir Urbanität am Land durch ein Mosail von komplementären temendörffern schaffen?

Beispiel Waldviertel

die kulturellen Refugien    

Werden wir erleben dass sich virtuelle Gemeinschaften in eigenen physischen Räumen zusammenfinden?

" Retro-bolo, Thai-bolo, Sun-bolo, Blue-bolo, Paleo-bolo, Dia-bolo, Punk-bolo, Proto-bolo, Krishna-bolo, Taro-bolo, Jesu-bolo, Tao-bolo, Para-bolo, Pussy-bolo, Marl-bolo, Necro-bolo, Basket-bolo, Coca-bolo, Incapa-bolo, HighTech-bolo, Indio-bolo, Alp-bolo, Mono-bolo, Metro-bolo, Acro-bolo, Soho-bolo, Herb-bolo, Macho-bolo, Hebro-bolo, Ara-bolo, Freak-bolo, Straight-bolo, Pyramido-bolo, Marx-bolo, Sol-bolo, Tara-bolo, Uto-bolo, Sparta-bolo, Bala-bolo, Gam-bolo, Tri-bolo, Logo-bolo, Mago-bolo, Anarcho-bolo, Eco-bolo, Dada-bolo, Digito-bolo, Subur-bolo, Bom-bolo, Hyper-bolo, Rasle-bolo, etc. Moreover, there are also just good old regular bolos, where people live normal, reasonable and healthy lives (whatever those are). " https://theanarchistlibrary.org/library/p-m-bolo-bolo#toc23

(C) Die Autoren changed: 16. April 2021