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Silke Rosenbuechler

 

Silke Rosenbüchler Silke Rosenbüchler

Über Utopien und warum wir Sie brauchen, um die Welt zu retten.

Als ich noch heimlich davon träumte, die Welt zu retten, und auf der Suche nach einer meinen Neigungen entsprechenden Studienrichtung war, wurde ich auf den damaligen Studienversuch „Landschaftsökologie“ aufmerksam gemacht. Diese Studienrichtung sollte eine Brücke zwischen Ökologie und Technik schlagen. Die LandschaftsökologInnen sollten als Vermittler zwischen UmweltschützerInnen und IngenieurInnen tätig werden, sie sollten gewissermaßen als MediatorInnen dienen, um zwei Fachgebiete miteinander zu vereinen, deren jeweilige VertreterInnen über ein jeweils eigenes Fachvokabular verfügten, dass den anderen offenbar nicht geläufig genug war, um gemeinsam fruchtbare Diskussionen zu führen. Während des Studienversuches wurde eine Vielzahl der unterschiedlichsten Fächer angeboten, die es mir erlaubte, einen weiten Überblick darüber zu erlangen, was ich alles nicht wirklich genau wusste. Und endlich wurde die Studienrichtung unter einem neuen Namen etabliert, der nun „Landschaftsplanung und Landschaftspflege“ lautete. Es wurde heiß darüber diskutiert, welchen Stellenwert die Landschaft für den Tourismus hat, wer die Kosten für eine allfällige „Landschaftspflege“ zu tragen habe, und ob unsere Bauernschaft in Zukunft weniger mit der Bereitstellung von Nahrungsmitteln als vielmehr mit der Bereitstellung einer Landschaftsidylle beschäftigt sein sollte. Denn dort, wo der Mensch nicht mehr eingreift, erobert sich die Natur das Terrain zurück und anstelle der gepflegten Kulturlandschaften, wie wir sie hier in Europa gewohnt sind, treten undurchdringliche Urwälder. Diese Urwälder haben nichts mit den gepflegten Forsten gemeinsam, die wir auf unserer Suche nach „Natur“ gerne an Sonn- und Feiertagen mit unseren Familien durchwandern. Die Landschaft, die wir kennen und in der wir leben, wurde von uns Menschen so gestaltet.

In den Seminaren, die ich besuchte, wurde aber nicht über das Für und Wieder großräumiger Eingriffe in das Landschaftsbild diskutiert, sondern über frauen- und behindertengerechte [1 mann beachte diese Paarnennung…] öffentliche Freiräume beratschlagt und den Einfluss diverser Wasserspiele auf das Mikroklima berichtet. Phantasievolle, künstlerisch anspruchsvolle Planungsansätze waren Gärten, öffentlichen Plätzen und kleinen Bereichen in größeren Parks vorbehalten. An diesen Inhalten ist auch prinzipiell nichts auszusetzen, im Gegenteil, sie sind in der Planungspraxis von größter Wichtigkeit. Wo aber waren die großen Träume, wo die Visionen eines futuristischen Paradieses (selbstverständlich mit funktionierenden Ökosystemen!!), das wir mit Hilfe unserer technischen Errungenschaften aus den Industriewüsten erschaffen könnten? 1854 wurde die von Carl Ritter von Ghega geplante und gebaute Semmeringbahn eröffnet, die seit 1998 zum Unesco Kulturerbe gehört – in den letzten 150 Jahren ist in Österreich kein vergleichbares Projekt verwirklicht worden, in dem Natur und Technik in so harmonischer Weise aufeinander treffen. Eingedenk der Tatsache, wie sehr die Landschaft bereits mit uns heute als recht einfach erscheinenden Mitteln von unseren Vorfahren verändert wurde, erscheinen heutzutage mit Hilfe unserer technischen Errungenschaften noch viel stärkere Eingriffe in unseren unmittelbaren Lebensraum möglich. Haben wir tatsächlich keine größeren Pläne als mehr Plastikplanen in diversen Hausgärten zu verlegen, um damit unser ökologisches Gewissen zu beruhigen? Beschränken sich unsere kühnsten Träume auf die künstlichen Landschaftskonserven so genannter Themen- und Center-Parks, in denen Touristen möglichst ausbruchssicher verwahrt und zu möglichst intensivem Konsum angehalten werden können, ohne dass sie dabei die einheimische Bevölkerung mit ihren Ansprüchen allzu sehr belästigen?

Angesichts der heutigen Möglichkeiten zur Gestaltung unseres Lebensraumes fehlte mir in den Diskussionen an der Universität für Bodenkultur der visionäre Ansatz, in welche Richtung die Veränderung unserer Landschaft gelenkt werden könnte, ganz abgesehen davon, welche Eingriffe dann tatsächlich wünschenswert wären.

Im Rahmen meiner Abschlussarbeit bot sich mir die Möglichkeit, etwas gegen dieses empfundene Manko zu unternehmen und mich nun selbst auf die Suche nach neuen, atemberaubenden Planungsansätzen zu machen. Aus meiner persönlichen Neigung zu Literatur und kreativem Schreiben entstand die Idee, sowohl in ausgewählten Werken der Zukunftsliteratur (mit Schwerpunkt auf österreichische Autorinnen und Autorren) als auch in verschiedenen Schreibgruppen, die gerne bereit waren, mein Experiment zu unterstützen, auf Visionssuche zu gehen. Um der Phantasie einen möglichst breiten Spielraum zu gewähren, bat ich die TeilnehmerInnen an meinem Schreibprojekt, mir eine Landschaft zu beschreiben, wie sie in 500 Jahren aussehen könnte. Kaum hatte ich jedoch meine Bitte vorgebracht, so kam unausweichlich die Wortmeldung, dass es in 500 Jahren ohnehin keine Landschaft mehr gebe, weil wir Menschen bis dahin den Planeten Erde restlos verwüstet hätten. Dieser Ansatz wurde dann von den einzelnen Gruppenmitgliedern noch ein wenig weiter diskutiert, und endlich erhielt ich etliche Texte, in denen das oben zitierte Statement mehr oder weniger ausführlich wiederholt wurde. Um diese Anfangsdiskussion, die die Teilnehmerinnen von vornherein in eine sehr düstere Grundstimmung versetzte, zu vermeiden, entwickelte ich bald eine geführte Meditation, wie ich sie im Rahmen der verschiedenen Techniken des kreativen Schreibens kennen gelernt hatte.

Da die Aufgabenstellung, sich eine zukünftige Landschaft vorzustellen, in den Meditationstext eingebunden war, wies ich zu Beginn einer jeden Schreibrunde nur kurz darauf hin, das ich eventuelle Fragen später beantworten werde und erklärte lediglich, dass es sich um ein Schreibexperiment im Rahmen einer Dissertationsarbeit handle. Diese Vorgehensweise hatte nicht nur den Vorteil, dass es keine polarisierenden Anfangsdiskussionen mehr gab, sondern auch, dass die TeilnehmerInnen mit Hilfe der Meditationsübung einen schnelleren und besseren Zugang zu ihrem kreativen Potential erlangten. Dabei galt es natürlich zu beachten, dass der Text selbst keine bestimmte Richtung über das Aussehen vorgab. [2 Um diese Methode dem Publikum beim Symposion möglichst eingängig näher zu bringen, aber auch mit dem Hintergedanken, ein wenig Abwechslung am Ende einer anstrengenden Tagung zu bieten, habe ich das Publikum eingeladen, zu Beginn meines Vortrages eine kleine Meditationsreise zu unternehmen. Dabei versuchte ich, auf das Thema „Utopie“ einzugehen, was sich allerdings als eine etwas anspruchsvollere Übung darstellt als das bloße visualisieren einer Landschaft, da hier auch innere Dialoge ins Spiel kommen. Der Versuch, auf diese Weise das Publikum zu aktivieren, schlug fehl, da sich dieses offenbar mit einer manipulativen Technik konfrontiert glaubte. Mir fehlt die Erfahrung um beurteilen zu können, ob eine aktive Teilnahme des Publikums bei einem Symposion generell unerwünscht ist, oder ob meine anschließende Erklärung, warum ich mit dieser Übung begann, unzureichend war.]

Diese Methode knüpft an das Instrumentarium der von Robert Jungk initiierten Zukunftswerkstätten an, eine Methode, die in letzter Zeit wieder zunehmend an Popularität zu gewinnen scheint. Derzeit wird angedacht, ob diese oder ähnliche Methoden des kreativen Schreibens im Rahmen von Agenda 21 Projekten eingesetzt werden können, um es den Menschen in der Phase, in der ein gemeinsames Leitbild für eine zukünftige Entwicklung erarbeitet werden soll, leichter zu machen, ihren diesbezüglichen Gedanken und Träumen Ausdruck zu verleihen.

Als Ergebnis meiner Dissertation kann zusammengefasst werden, dass sich zum einen gezeigt hat, dass die Methode der Visionsreise sehr gut geeignet ist, um kreatives Potential freizulegen und neue Ideen zu entwickeln. Zum anderen habe ich mich in erster Linie mit den Landschaftsmotiven befasst, die sowohl in der Literatur als auch bei den Schreibexperimenten immer wieder auftauchen. Diese lassen sich unter Apokalypse, Wüstenlandschaft, unterirdische Lebensweise, schützende Kuppelbauten, Stadtlandschaft, Mutationen, ländliches Paradies, phantastische Landschaften, virtuelle Landschaften, Verkehr und Wetter zusammenfassen.

Insgesamt zeigte sich anhand dieser Motivkreise, dass es ungleich mehr negative Visionen gibt, die davon erzählen, wie unsere Umwelt zerstört wird und die Menschheit, so sie nicht gleich mit vernichtet wird, sich in künstlich geschaffene Räume zurückziehen um ein ziemlich trostloses Dasein zu fristen, das geprägt ist von Gewalt, Terror und Identitätsverlust. Diese Tendenz zeigt sich umso stärker, je jünger die Literatur ist. Der Trend zu apokalyptischen Romanen und Geschichten beginnt mit dem Zeitalter der Revolution und der immer rascher werdenden Entwicklung von Naturwissenschaft und Technik. Der Utopische Roman wird abgelöst von der Anti-Utopie, im angloamerikanischen Raum wird in diesem Zusammenhang auch von Dystopie gesprochen. In dieser Spielart der Literatur wird gleichsam darauf hingewiesen, welches negative Potential in den Utopien vorhanden sein kann, wenn deren Umsetzung nur streng genug überwacht wird. Nun ist den meisten utopischen Ansätzen, die mir bekannt sind, gemeinsam, dass sie sich für EINE Glück verheißende Gesellschaftsform einsetzen, selbst wenn diese möglichst viel Raum für eine individuelle Lebensgestaltung lässt. Diese Ausschließlichkeit birgt jedoch die Gefahr, in eine Dystopie zu kippen, in sich.

Verstärkt wird dieser Trend noch von der allgemeinen Tendenz der österreichischen Literatur der letzten Jahre [Eine Tendez, die meines Erachtens zum Glück wider Rückläufig ist, wenn ich an die literarischen Erfolge der letzten Zeit denke] ein möglichst negatives Bild unserer Gesellschaft zu zeichnen. Müssen literarische Meisterwerke heutzutage in diese Richtung gehen, um nur ja nicht in den Verdacht der Trivialisierung zu kommen? Diese Frage stellte sich mir nach folgender Begebenheit: Ich hatte zu einem Zukunftstextwettbewerb eine Geschichte eingereicht, in der die Menschen sich vor den extrem gesundheitsschädlichen UV-Strahlen in eine virtuelle Welt zurückgezogen hatten, in der sie durch ihre jeweiligen Avatare handelten. Pflanzen gibt es bis auf wenige angepasste Ausnahmen nur mehr in überkuppelten Parks – allerdings findet die Heldin der Geschichte gleichsam als hoffnungsvollen Ausklang zu Ende der Geschichte eine blühende Erdbeerpflanze just an der Stelle, an der ein Schaden in der Kuppel die UV-Strahlung ungehindert durchlässt. Ein wirklich kleiner Schimmer Hoffnung im letzten Satz der Geschichte. Der Kommentar eines Jury-Mitgliedes zu der Story lautete sinngemäß so, dass die Geschichte schon fast Literatur sei, wenn sie nicht eben jenen hoffnungsvollen Ausklang hätte. Für mich hieß das übersetzt, dass „richtige Literatur“ unbedingt negativ zu sein hatte, ohne Hoffnung, ohne Liebe. Da ich diesen Essay in der Vorweihnachtszeit schreibe, drängt sich mir folgender Vergleich auf: Hätte Charles Dickens seine berühmte Weihnachtsgeschichte um Ebenezer Scrooge heute geschrieben, so hätte ihm der Geiste der Vergangenen Weihnacht nur gezeigt, welche Ereignisse aus Scrooges Kindheit zu seinem misanthropischen Charakter geführt haben, wobei vermutlich Kindesmisshandlung und Pädophilie eine tragende Rolle spielen würden. Der Geist der gegenwärtigen Weihnacht währe wohl ganz gestrichen worden, und der Geist der zukünftigen Weihnacht hätte Scrooge ein Szenario gezeigt, dem zu entgehen Scrooge nach dem Besuch der Geister lauter Handlungen gesetzt hätte, die ihn nur umso eher zu der Erfüllung der düstern Prophezeiung geführt hätten. Selbstverständlich würde uns diese Geschichte den Scrooge in allen von uns vor Augen führen – und würde höchstwahrscheinlich nie die Popularität erlangen, die sie heute auf der ganzen Welt genießt.

Während ich noch an meiner Dissertation arbeitete, begann ich, mich verstärkt nach Möglichkeiten umzusehen, wie ich mein Leben nach der Universität optimal gestalten könnte. Das schloss neben der eigentlichen Jobsuche auch das Studium diverser diesen Vorgang zu unterstützen versprechender Literatur ein. Dabei stieß ich in den unterschiedlichsten Quellen immer wieder auf eine Kernaussage: Um das Leben nach eigenen Wünschen erfolgreich gestalten zu können, ist es wichtig, sich ein Ziel zu setzten und sich auf dessen Erreichung zu konzentrieren. Eine Vision, ein Bild von einer bestimmten Zukunft im Kopf haben, das ist es, was wir laut diversen Management, Selbstmanagement und Persönlichkeitsentwicklungskursen oder aber laut diversen Glückseeligkeit verheißenden Ratgebern erlernen sollen. Mit welcher Methode auch immer dieses Bild erzeugt werden soll, rein durch die Kraft der Visualisierung, durch ein tatsächlich gemaltes Bild, dass an die Wand gehängt wird, oder durch eine feinsäuberlich aufgeschriebene und hinterher versteckte Wunschliste, essentiell ist, dieses Bild möglichst klar und eindeutig zu gestalten.

Rasch entsteht der Eindruck, dass das Wünschen in unserem Zeitalter wieder helfen soll und der Glaube Geldberge versetzen kann. Wer also keinen Erfolg hat ist nur zu schwach zum Träumen oder gerade eben nicht stark genug, um seine Träume Wahrheit werden zu lassen. Wer Mut genug hat, sich in die Esoterikecke eines Buchladens zu trauen, wird in der dort ausgestellten Literatur ganz ähnliche Ansätze entdecken, wenngleich die Theorie, warum die vorgestellten Methoden zur Veränderung der persönlichen Umwelt funktionieren sollen, ganz andere sind. Wer nicht die Kraft des Positiven Denkens beschwört weist darauf hin, dass erst dann effektiv gearbeitet werden kann, wenn ein Ziel definiert und in mehrere kleine Teilziele zerlegt wird, die innerhalb eines genau bestimmten zeitlichen Rahmens erreicht werden sollen.

Welche Methode vor welchem wissenschaftlichen Hintergrund auch immer vorgestellt wird, bei allen klingt mehr oder weniger deutlich die Mahnung im Hintergrund:

Wer sich zu sehr von seinen Ängsten und Befürchtungen vereinnahmen lässt, steuert wie magisch angezogen auf den Abgrund zu, den er/sie eigentlich zu vermeiden trachtet. [3 Auch Nicole Lieger ist in ihrem Vortrag kurz auf dieses Thema eingegangen. Wenn ich ihre Worte richtig erinnere, sprach sie davon, dass wir jene Ereignisse anziehen, denen wir die Energie unserer Gedanken zuwenden. Diese Thematik findet sich auch in der klassischen Tragödie wieder, in der der Held erst durch die Maßnahmen, die er setzt, um eine drohende Prophezeiung abzuwenden, die Mechanismen zum Laufen bringt, die zur Erfüllung eben dieser Prophezeiung führen. Handelt es sich dabei wirklich bloß um einen interessanten Plot, oder steckt in diesen Geschichten die Mahnung dahinter, sich nicht zu sehr von negativen Prognosen von seinem Weg abbringen zu lassen?]

Es war dieser Umkehrschluss, der mir zunehmend schlaflose Nächte bescherte. Wenn tatsächlich das Wirklichkeit wird, was offenbar ein Großteil der Menschheit für unsere unabwendbare Zukunft hält, musste ich dann nicht befürchten, vor meinem „natürlichen“ Ende den Untergang der Menschheit mitzusterben? Und wie sollte der drohende Untergang je abgewendet werden, wenn jeder nur über die genaue Art diskutierte, wie dieser letztendlich aussehen würde – Atomkrieg, Auflösung der Ozonschicht, Klimawandel, unbeabsichtigte Folgen der Gentechnik, etc., anstatt darüber nachzudenken, wie wir eine schöne, wünschenswerte Zukunft gestalten könnten?

Ich entschied mich trotzdem, Kinder zu bekommen. Und um dabei mitzuhelfen, dass diese in einer der besten aller möglichen Dorfgemeinschaften aufwachsen konnten, meldete ich mich freiwillig, um bei einem Agenda21 Projekt mitzuarbeiten, das in meiner neuen Heimatgemeinde gerade angelaufen war. Wenn ich schon nicht die Welt retten konnte, wollte ich mich mit meiner Ausbildung wenigstens kommunal ein wenig nützlich machen. Für mich bot der Gedanke hinter der Agenda21 [Die Agenda21 ist eine von mehreren Instrumente, die dazu dienen sollen, eine bessere, nachhaltigere Lebenswelt zu erarbeiten. Ich beziehe mich deswegen ausschließlich auf dieses Instrument, weil ich diesen Prozess als einzigen genauer kennen lernen durfte.] den optimistischen Gegenimpuls zu all den düstern Zukunftsprognosen, mit denen ich mich in den letzten Jahren herumgeschlagen hatte. Kurz zusammengefasst geht es dabei darum, alle jene Menschen zu einer Beteiligung am gemeinsamen öffentlichen Leben zu motivieren, die aus unterschiedlichen Gründen bis dahin noch keine Möglichkeit gefunden haben, sich aktiv an der Entwicklung der Gemeinde zu beteiligen. [Im Sinne des Titels dieses Symposions lässt sich durchaus sagen, es geht dabei darum, die „unsichtbaren Intelligenzen“ ans Licht der Öffentlichkeit zu holen und sie zu Bitten, ihr Können der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Wobei ich das Wort „Intelligenz“ in der breitesten aller Auslegungsarten gebrauchen möchte.] Wie ich oben schon erwähnt habe, gilt es dabei zunächst ein gemeinsames Leitbild zu erarbeiten und sich dann Schritte zu überlegen, mit deren Hilfe diese Zukunftsvision in ein reales Projekt umgesetzt werden könnte. Projekte, die einen nachhaltigen Beitrag zur Gestaltung eines besseren Lebensumfeldes der jeweiligen Gemeinde zu leisten versprechen, haben dabei auch eine Chance, vom Land gefördert zu werden.

Im Rahmen des Agenda21 Prozesses in meiner Heimatgemeinde entstand nun der Gedanke, ein Zukunftsfest zu organisieren, in dessen Rahmen sowohl die unterschiedlichsten Agenda21 Projekte vorgestellt werden sollten, als auch unterschiedliche Beiträge einzelner Regionen oder Firmen zu den Themen Energie, Gesundheit, Nachhaltigkeit etc. gezeigt werden sollten. Mein eigenes kleines, aber ehrgeiziges Projekt in diesem Rahmen wollte auf die inspirierende Kraft früherer Utopien und ausgesuchten Werken der Science Fiction aufmerksam machen, sowie allen, die glaubten, einen interessanten Gedanken zur Lösung unserer derzeitigen Probleme beitragen zu können, die Gelegenheit dazu geben. Mit Unterstützung des Ersten Wiener Lesetheaters und Zweiten Stegreiftheaters gestaltete ich ein über die gesamte Dauer des Festes laufendes Programm, in dem die unterschiedlichsten Texte zum Thema „Zukunft“ vorgetragen wurden. Parallel dazu gab es für das Publikum die Möglichkeit, eigene Texte und Gedanken mit einzubringen oder aber selbst mit Hilfe eines vorbereiteten kurzen Textes das Konzept „Lesetheater“ als Akteur zu erleben. Das Lesetheater selbst wurde im Rahmen dieses Zukunftsfestes als Leitprojekt vorgestellt, um zu zeigen, mit wie geringem zeitlichem und finanziellem Aufwand Kultur gelebt werden kann. Das Besondere am Ersten Wiener Lese- und Zweitem Stegreiftheater ist der Grundsatz, dass sich jeder und jede aktiv am Geschehen beteiligen kann, sei es als Vortragende/r oder als Organisator/in. Das kulturelle Angebot wird so von allen, die daran Interesse haben, mitbestimmt, im Gegensatz zu den meisten anderen Organisationsformen, wo es eine kleine aktive Gruppe gegenüber einem großen, passiv konsumierenden Publikum gibt. Darin birgt sich der Ansatz zu einer utopischen Gesellschaftsform, in der jeder Einzelne aktiv in das Gesamtgeschehen eingebunden ist.

Da dieses Konzept eher die Ausnahme als die Regel darstellt, bedarf es im Allgemeinen einer gewissen Motivationsarbeit, um die Menschen zu einer Teilnahme an verschiedenen Projekten, die ihr Lebensumfeld verbessern sollen, zu aktivieren. [Diese Erfahrung hat sich auch in dem Stil gespiegelt, in dem ich meinen Vortrag gehalten habe.]

Einen Grund, den in meiner Heimatgemeinde viele dafür angaben, warum sie sich aus dem aktiven Gemeindegeschehen zurückgezogen haben, war die Befürchtung, zwischen den beiden einander beständig kritisierenden Parteien aufgerieben zu werden. Hier spiegelte sich meiner Ansicht nach in der Lokalpolitik die oben beim Thema Literatur bereits dargestellte Tendenz, immer nur auf das Negative hinzuweisen, immer nur Kritik zu äußern, ohne auch dabei auf positive Dinge einzugehen. [Hierbei sehe ich es als ein großes Problem, dass derjenige, der Kritik äußert, oft durch eben diese Kritik ein höheres Ansehen erhält als derjenige, der kritisiert wurde – ich habe versucht, bei meinem Vortrag auf diese Problematik einzugehen, was aber aufgrund meiner persönlichen Betroffenheit, sprich: Wut über die in meinem Lebensumfeld praktizierte politische Unkultur, durch sinnlose Kritik die Projekte der jeweils anderen Partei zum Scheitern zu bringen – leider misslungen ist.]

Das dieser Eindruck auch von anderen Menschen in anderen Bereichen geteilt wird, zeigte mir eine Bemerkung von Prof. Paul Lendvai zur Österreichischen Presse, welche er erst kürzlich Anlässlich einer Lesung in Vorchdorf geäußert haben soll: „Wenn man Österreich allein aus österreichischen Zeitungen kennen lernen müsste, glaubte man wohl, es stünde täglich der Untergang bevor. Dabei ist Österreich eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht. Es ist schon recht, wenn die Presse kritisch ist – aber man muss stets die Proportionen, das Gleichgewicht wahren“. [Der Tipp November 2008, Seite 15]

Die starke Reaktion des Publikums bei dem Symposion auf meinen Versuch, auf das negative Potential hinzuweisen, das ein zuviel an Kritik beinhalten kann, zeigte mir, dass ich hier offenbar tatsächlich einem wunden Punkt auf der Spur war. Dabei viel mir verstärkt auf, dass viele kritische Fragen aus dem Publikum zu neuen Denkansätze der Referentinnen und Referenten darauf abzielten, die jeweiligen Ideen auf ihr faschistisches Potential hin abzuklopfen. Reflektierend auf die unterschiedlichen Vorträge des Symposions und die jeweiligen Publikumsreaktionen darauf stellen sich mir nun zwei neue Fragen: Zum einen: der große Vorwurf der Nach-1945-Generationen an ihre Eltern und Großeltern lautete, die Propaganda des Nationalsozialismus zu unkritisch geschluckt zu haben. Resultiert die derzeit noch vorherrschende Kritikkultur in Österreich aus dem angestrengten Versuch dieser Generationen, auf gar keinen Fall genau diesen Fehler zu machen?

Und zum anderen: Der Nationalsozialismus selbst ist der Bevölkerung als neue, große Utopie verkauft worden. Anders als zu Thomas Morus Zeiten, als nur ein geringer Teil der Bevölkerung des Lesens mächtig war und Zugang zu anderen Büchern als der Bibel hatte, hat sich diese „Utopie“ sehr rasch mit Hilfe der „Propagandamaschinerie“ verbreitet. Die erschreckende Geschwindigkeit, mit der an der Umsetzung dieser Vision gearbeitet wurde, und die unmenschliche Konsequenz in der Durchführung zeigen, welche in diesem Fall zerstörerische Energie eine von den breiten Massen befürwortete Vision entwickeln kann. Möglicherweise resultiert daraus eine gewisse „Utopiephobie“, eine Angst, dass sich eine jegliche Utopie letztendlich wieder zu einer Dystopie entwickeln könnte?

Inwieweit diese Überlegungen zutreffen oder nicht, mögen diejenigen entscheiden, die im Beantworten solcher Fragestellungen besser ausgebildet sind als ich. Wie wichtig positive Gegenbilder jedoch zu den vielen Warnungen vor einer drohenden Apokalypse sind, um diese Abwenden zu können, zeigt uns wiederum die Geschichte von Ebenezer Scrooge. Ich habe oben kurz erläutert, wie die Geschichte in der heutigen Zeit wohl geschrieben worden wäre - und wie sie nach diesem Strickmuster zwangsläufig ausgehen müsste. Aber Ebenezer Scrooge wird eben nicht nur vor Augen geführt, welches traurige Schicksal ihn erwartet. Neben den Warnungen, die ihm die notwendige Motivation geben, sein Verhalten zu ändern, erhält er auch noch die Gelegenheit, Gegenentwürfe zu seinem eigenen, negativen Weltbild zu erfahren. Erst dadurch erhält er die Möglichkeit, sein trauriges Schicksal abzuwenden und buchstäblich ein neues Leben zu beginnen. Auch wir brauchen Gegenentwürfe zu den Warnungen vor den Folgen der Missständen, die in unserer derzeitigen Gesellschaft herrschen: wir brauchen Utopien, um daraus Hoffnung auf eine bessere Zukunft zu schöpfen und dadurch die Kraft zu gewinnen, die wir brauchen, um neue Wege einzuschlagen.

Da ich mein Publikum gebeten habe, neue Ideen nicht nur zu kritisieren, sondern auch ein wenig damit zu spielen und sie zu transformieren, und da ich versucht habe, möglichst viele Menschen dazu zu ermutigen, ihren Zukunftsvisionen Ausdruck zu verleihen, möchte ich zum Abschluss auch meine eigenen bescheidenen Überlegungen zu diesem Thema darlegen:

Ein neuer utopischer Ansatz müsste eine Matrix beschreibt, innerhalb derer die unterschiedlichsten Gesellschaftsformen in friedlicher Koexistenz bestehen können. Innerhalb dieser Matrix wären nur jene Gesellschaftsformen unerwünscht, die ihren Töchtern und Söhnen die freie Wahl, in welcher Gesellschaftsform sie leben wollen, verwehren, oder eine potentielle Gefahr für den Weiterbestand der anderen Gesellschaftsformen darstellt. Ausgeschlossen werden demnach nur solche Gesellschaftsentwürfe, die eine Gefahr für die Gesamtstruktur und damit für die freie Entscheidung aller Individuen darstellen. Um eine solche Matrix erschaffen zu können ist es wichtig, sich einen Überblick darüber zu schaffen, von welchen unterschiedlichen Gesellschaftsformen die unterschiedlichen Menschen träumen. Und um keine wie auch immer gearteten faschistoiden Ansätze aufkommen zu lassen, ist hier der Traum eines jeden Menschen gleich wichtig. Es ist wichtig, herauszufinden, in welcher Gesellschaft wir leben wollen [Das nicht nur ich dieser Meinung bin, zeigt die Initiative der „Aktion Mensch“, die eine eigene Website eingerichtet hat um der Frage „In welcher Gesellschaft wollen wir leben?“ möglichst ausführlich zu beantworten.] Gleichzeitig ist es von Nöten, das Wissen möglichst vieler Fachrichtungen in dieses neue Weltbild einfließen zu lassen, um möglichst funktionale Teillösungen entwickeln zu können. Angesichtes der vielen einander beeinflussenden Systeme ist es für einen einzelnen Menschen unmöglich, den jeweiligen Einfluss eines einzelnen Teilbereiches auf die anderen Systeme auch nur annähernd vorherzusagen.

Ich weiß nicht, ob Sie meine Überlegungen gut heißen, sie als vollkommen falsch ablehnen oder von ihnen zu weiteren Gedankenflügen inspiriert werden. Wie auch immer Ihre Meinung dazu ist: auch dies zählt und ist wichtig, um unsere Welt wieder ein kleines bisschen besser zu machen.

Fußnoten

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(C) Die Autoren changed: 12. Februar 2019