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Grundlinien einer Wissenschaft vom Austausch
 

Grundlinien einer Wissenschaft vom Austausch

Brigitte Kratzwald und Franz Nahrada

siehe auch: http://www.dorfwiki.org/wiki.cgi?FranzNahrada/JenseitsVonTauschUndGeld

Eine seltsame Dichotomie

Der dominante Begriff der Ökonomie nimmt seinen Ausgangspunkt bei einem bestimmten Modell der Organisation des Umgangs mit materiellen Gütern. Scheinbar überhistorische Konstruktionen wie Knappheit unterstellen ganz bestimmte historische Verhältnisse: So wird als "Tatsache" konstatiert,

"dass die Menge der Güter, die zur vollständigen Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse (Sättigung) notwendig ist, deren Verfügbarkeit bzw. die Möglichkeiten der Produktion übersteigt. Knappheit bzw. knappe Güter sind der Grund des wirtschaftenden Handelns von Menschen. Die auf Märkten jeweils auftretenden Preise sind Ausdruck dieser Knappheitsrelation (Knappheitspreise)". (Dr. Gablers Wirtschaftslexikon)

Weder wird uns das unterstellte prinzipielle Missverhältnis von Bedürfnis und Produktion erklärt, noch der Umstand warum Güter nur gegen Geld verfügbar sein sollen und schon gar nicht warum keine Kommunikation dem Spiel der Produktion und der Märkte vorausgeht. Es wird uns nicht erklärt warum überhaupt Menschen für fremde Bedürfnisse produzieren statt für ihre eigenen, welche Verhältnisse dazu geführt haben dass sie in die Teiligkeit der Arbeit gekommen sind.

Der alte aristotelische Begriff der Oikonomia hat unzählige Versuche einer Antithese inspiriert, in der ein "System der Arbeiten und der Bedürfnisse" als grundsätzlich planbar und berechenbar erscheint. Vielerorts wurde diese Idee aufgegriffen, in der ein gesellschaftliches Subjekt existiert - egal ob als individueller oder kollektiver Robinson - und quasi im Rahmen des "ganzen Hauses" Ressourcen, Inputs und Outputs aufeinander abstimmt.

Beide Systeme scheinen heute schwer diskreditiert zu sein, was die Vertreter der Systeme nicht daran hindert, ein bestimmtes System der Ökonomik zum Naturzustand zu erklären. In dem einen Fall ist es der homo ökonomicus der nacheinander Tausch, Geld und Kapital erfunden hat, in dem anderen Fall die mater subsistens die das verdrängte Rollenmodell einer urkommunistischen Gemeinschaft repräsentiert.

Lässt sich ein dritter, vorurteilsfreier und weniger ideologiebehafteter Zugang zu den mannigfaltigen Erscheinungsformen dessen bildet, was den Kern der menschlichen Gesellschaft ausmacht, die gemeinsame Daseinsbewältigung? Lassen sich vielleicht plurale Muster identifizieren, die ganz verschiedenen Wurzeln entstammen und in ihrer Evolution immer wieder neue Verbindungen eingegangen sind? Können wir daraus lernen, wenn wir versuchen, Gesellschaft vernünftiger und bewusster zu gestalten? Darum soll es hier gehen.

Der Begriff des Austauschs als Versuch, einen neutralen Boden zu gewinnen

Der Begriff des Austauschs wird üblicherweise gleichgesetzt mit Tausch:

"Tausch ist eine rechtswirksame gegenseitige Übertragung von Waren, Dienstleistungen und/oder Werten zwischen natürlichen und/oder juristischen Personen. Ein Tausch wird abgegrenzt von der Gabe und von der Schenkung durch das jeweils einseitige aktive Handeln aus eigenen Motiven."

Hier soll eine klare Abgrenzung versucht werden. Austausch und Tausch sind nicht ident. In der Soziologie ist ja des öfteren versucht worden auf dem Austausch basierend eine Theorie des Sozialen Handelns zu entwerfen, um dann aber immer wieder auf die Tauschrelation hinzuleiten.

Wenn wir vom Austausch reden, dann eben von der Selbstverständlichkeit, dass die Menschen " vor allen Dingen zuerst essen, trinken, wohnen und sich kleiden müssen, ehe sie Politik, Wissenschaft, Kunst, Religion usw. treiben können; dass also die Produktion der unmittelbaren materiellen Lebensmittel und damit die jedesmalige ökonomische Entwicklungsstufe eines Volkes oder eines Zeitabschnitts die Grundlage bildet, aus der sich die Staatseinrichtungen, die Rechtsanschauungen, die Kunst und selbst die religiösen Vorstellungen der betreffenden Menschen entwickelt haben". (Engels).

Der Austausch zwischen Menschen in diesem Sinn kann aber viele verschiedene Formen annehmen, die durchaus gewaltsame und unfreiwillige miteinschließen.

Die empirischen Befunde der Ethnologie verweisen auf die Vielfalt von Austauschbeziehungen, die im Lauf der Geschichte aufgetreten sind.

Austausch der Menschen und Autausch mit Natur

In unserem Ansatz steht die intersubjektive Komponente des Austauschs zwischen Menschen im Mittelpunkt und hat Priorität, ohne dass ausgeblendet werden darf, dass die Naturbeziehung und Naturproduktivität eine permanente Basis der Austauschbeziehungen bildet noch dass die naturbeziehung sozial überformt wäre. Es handelt sich um bei natur und Gesellschaft um relativ getrennte Systeme, deren Beziehung sich im Idealfall bis zur wechselseitigen Symbiose und Verstärkung und umgekehrt in vielen Fällen bis hin zur wechselseitigen Zerstörung entwickeln kann.

Ein Exkurs über Naturbeziehung und Naturproduktivität kann dies verdeutlichen.

Mittelstellung: "Nature is only subdued by submission" (Bacon, Novum Organon) - erklärt Unterwerfungswillen gegenüber den Natur, der man sich aber dann doch wegen ihrer Übermacht unterwerfen muss. Davor und danach gibt es ganz andere Formen der Naturbeziehung.

Exkurs im Exkurs: zum entscheidenen Übergang der Lebendigkeit
(Biologie macht den ersten Übergang von der deterministischen zur nichtdeterministischen Natur !!)

Die 12 Ökonomien

  • der Mensch als Objekt der Fürsorge (Familienökonomie)
  • der Mensch als Beuteobjekt (Raub)
  • der Mensch als Haustier (Domestizierung, Versklavung)
  • der Mensch als Höriger (Besteuerung von sich selbst überlassenen Gewalt-Abhängigen)
  • der Mensch als Tauschpartner (Markt)
  • der Mensch als Schuldner (Zahlungsmittel)
  • der Mensch als organisierter Produktionsfaktor (Kapitalismus)
  • der Mensch als Genosse und Partner (Commons)
  • der Mensch als Staatsbürger und Staatsdiener (Kommunismus bis Faschismus)
  • der Mensch als Objekt und Subjekt der Leidenschaft (Schenkökonomie)
  • der Mensch als Mitgestalter von Autarkie (Open Source, Forumswirtschaft)
  • Der Mensch als Mitgestalter eines globalen autopoietischen Systems (gesellschaftlicher Gesamtautomat, Planetare Permakultur)
Dieses Modell der 12 Ökonomien kommt der Wirklichkeit wahrscheinlich näher, auch wenn sich durch die Geschichte hindurch dominante Formen herausbilden, ist jede der 12 Formen immer aktualisierbar.

Brigitte: Es handelt sich bei dieser Aufstellung ja nicht um Ökonomien - oder wie wir es genannt hatten, Formen ode Muster des Austauschs, sondern "nur" um verschiedene Menschenbilder. Zu einem Austausch gehören ja immer mindestens 2 Menschen dazu, normalerweise, wenn wir von gesellschaftlichen Mustern sprechen, mehrere und Austausch ist immer eine Praxis, bei der mindestens eine Person aktiv werden muss.

Bei einer Austauschbeziehung geht immer darum, wer gibt oder nimmt was, wann und mit welcher Begründung, Motivation, Legitimation. Dann: welche sozialen Dynamiken entstehen daraus und was bedeutet das für die jeweiligen sozialen Beziehungen und vermutlich auch für die Kultur. Darin unterscheiden sich die verschiedenen Formen und darum sollte es aus meiner Sicht gehen.

Eine weitere interessante Frage wäre: wofür oder in welcher Situation ist welche Form des Austausches am besten geeignet? Muss in einer Gesellschaft immer eine Form dominant werden oder ist auch hier Pluralismus möglich?

Ein weiteres Problem mit deinem Modell sehe ich darin, dass ja eben immer mindestens 2 Menschen beteiligt sind und mindestens einer davon aktiv werden muss, die Reduktion des Menschen auf Objekte also zu kurz greift.

Wenn du also bei Familie schreibst: der Mensch als Objekt der Fürsorge, dann stimmt das nicht, weil erstens immer auch mindestens ein Fürsorgegeber in der Familie sein muss und weil in einer Familienökonomie diese Rollen auch wechseln können. Wenn man schon aufs Menschenbild abhebt, könnte man sagen, dass in der Familienökonomie die gegenseitige Abhängigkeit und Bedürftigkeit des Menschen handlungsleitend ist.

Auch beim Raub ist der Mensch nicht nur Beuteobjekt, sondern es muss auch einer der Täter sein, sonst ist es ja keine Austauschbeziehung. Vom Menschenbild her könnte man am ehesten sagen, der Mensch ist dem Menschen ein Wolf oder die Macht des Stärkeren setzt sich durch. Der Verteilungsschlüssel ist dann Körperkraft.

Und so könnte man das durchdeklinieren ...

Das mit dem "Der Mensch als Staatsbürger und Staatsdiener" halte ich für problematisch, weil - wenn wir von der heutigen Situation ausgehen - (fast) jeder Mensch Staatsbürger ist. Ob Staatsbürgerschaft eine Austauschbeziehung ist, darüber müsste man zumindest noch diskutieren. Welche Rolle die Staatsbürgerschaft in der Austauschbeziehung spielt, ist auch jeweils anzuschauen. Ich würde "öffentliche Dienstleistung" als ein Muster von Austauschbeziehungen sehen, die Charakteristika müsste man noch überlegen.

(C) Die Autoren changed: 18. Juni 2018