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Islam

 

4. Seid Ihr nicht blauäugig, was das Zusammenzuleben mit Muslimen betrifft? Die Trennung von Staat und Religion ist im Islam nicht möglich. Allahs Gesetze stehen über den menschlichen Gesetzen. Der Islam ist eine Religion der Gewalt usw.

Zugegebenermaßen eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Diese Diskussion lief ja selbst auf unserer eigenen Facebook-Plattform mit wechselsei­tig mäßiger Überzeugungskraft. Die Beispiele von "Parallelgesellschaften" die für die europäische Kultur nichts als Verachtung übrig haben, sind Legion. Und doch gilt es hier zu differenzieren.

Sicherlich ist zu beobachten, dass viele Menschen der reli­giösen Logik, der religiösen Stellung zur Welt, in der anstelle des Arguments der GLAUBE tritt (und zwar bei ALLEN Religionen), folgen. Und die Migration beendet diesen Zustand nicht automatisch, und so mancher Muslim mag es als seine heilige Pflicht brtrachten zu missionieren (wie übrigens die Christen auch; da sind sich die Kulturen historisch nichts schuldig geblieben).

Aber im normalen Alltagsleben und dessen Bewältigung ist allein entscheidend, wie sehr Menschen unterschiedli­cher Sozialisation, ethnischer Herkunft und religiöser Zugehörigkeit den WILLEN zu einer gemeinsam zu gestaltenden Gesellschaft aufbringen. Jenen also, die mir mit religionshistorischem Wissen ausgestattet erklären, wieso ein Zusammen­leben etwa mit Muslimen nicht möglich sein soll, sagen wir: Das ist eine Ausrede! Es steht doch in EURER Disposition, euch mit den Muslimen entsprechend zu ver­ständigen. Und durchaus offensiv einen beidseitigen Lernprozess zu vollziehen, der Differenzierung von Distanzierung zu unterscheiden vermag.

Vor Jahren hat Radovan Karadžić, als er noch Präsident der Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina war, in einem Interview angemerkt: „Mit Kroaten kann man nicht zusammenleben!“ Und das nach Jahrzehnten jugoslawischer Ge­mein­samkeit! Er hat doch damit nur bekundet, dass er selber zu einem solchen Zusam­menle­ben nicht bereit oder „fähig“ ist. Das geben wir allen denen zu bedenken, die hier Leit­kulturen, Wertekonflikte und religiöse Inhalte als Gründe fürs Nicht-zu­sam­men-leben-können ins Treffen führen. Mit Beschwichtigung hat das nichts zu tun.

Wer genau das Alte Testament studiert, das für Christen und Juden verbindliche heilige Buch, der wird darin - vor allem in den Büchern Levitikus und Deuteronomium - verbindliche Rechtsnormen finden, die zu ihrer Zeit sogar ein Fortschritt gewesen sein mögen (so ist z.B. das berühmte "Auge um Auge" ein Versuch gewesen, die endlose Eskalationsspirale von Familien- und Stammesfehden zugusten eines Rechtsstandpunkts, des ius talionis, zu durchbrechen). Sondern eben auch für unsere Begriffe noch viel grausamere Rechtsnormen, so zum Beispiel die Steinigung der Ehebrecherin oder von Mann und Frau, die während der Periode Geschlechtsverkehr haben. Der Islam kommt nicht aus dem Nichts, er ist eine beonders synkretistische Relgion, und hat christliche, jüdische und heidnische Elemente in sich aufgenommen (wie etwa die Kaaba und die damit verbundenen Riten). Und obwohl die erwähnten Dinge und andere Scheußlichkeiten in den erwähnten heiligen Büchern standen, ist man von ihrer Praktizierung nicht nur im christlich - jüdischen Kulturkreis, sondern auch in "moderaten" islamischen Staaten (wie etwa Indonesien) abgekommen. Warum sollte das also nicht auch gerade jetzt den Islam vor neue und nie gekannte Herausforderungen stellen? Er war zumindest in bestimmten historischen Epochen immer wieder konvivial.

Und wir dürfen eines nicht vergessen: auch wenn auf der einen Seite der Reformer Jesus das alte mosaische Gesetz unterlaufen und durch markige Sprüche wie "Halt auch die andere Wange hin" quasi aufgehoben hat, so ist doch das Christentum als Staatsreligion so mancher erlesenen Gewalt fähig geworden, die in der Leistungsbilanz auch den Islam weit übertrifft. Nicht nur in der Antike, auch in der Inquisition und in der Conquista sind viele Millionen Menschen im Namen eines gütigen Gottes niedergemetzelt und hingerichtet worden. Und mit dem Segen der Religion wurde die Welt kolonialisiert, wesentlich erfolgreicher als die Kreuzzüge waren die religiös sanktionierten Großtaten der Moderne, die wirklich weltumspannend und weltherrschaftsmäßig waren. "In God we trust" steht auf dem Dollarschein, der die größte Militärmaschinerie der Geschichte bezahlt und belebt.

Die Auseinandersetzung über die Rolle der Religion ist noch nicht ausgestanden; doch wird sie nur dann zu bestehen sein, wenn der eine und der andere nicht nur den Splitter im Auge seines Bruders sieht, sondern den Balken im eigenen. Islamische Staaten mag es geben; die Verwandlung Europas in einen islamischen Staat sollte ebenso undenkbar werden wie das Christentum als Staatsreligion geworden ist. Nur in dieser vollständigen Lesart macht es Sinn, den Anfängen zu wehren. Weitere sachdienliche Hinweise auf eine möglicherweise positive Rolle von Religion siehe hier: Wiener Manifest

(C) Die Autoren changed: 20. Dezember 2015